| Krystian Woznicki on 9 Jan 2001 15:33:59 -0000 |
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| [rohrpost] Tom Holert Interview |
Hallo,
in der aktuellen Ausgabe von springerin 4/00, >>Outside Europe<<
[http://www.springerin.at]
ist mein Interview mit dem in Köln ansässigen Kulturwissenschaftler Tom
Holert zum Themenkomplex
IT-Business, Intelligenz-Rassismus, Nike und Sport erschienen, dass ich
nachfolgend poste.
Gruss,
Krystian
[ ] Brainware im Strukturwandel
Ein Interview mit Tom Holert zum Themenkomplex IT-Business,
Intelligenz-Rassismus, Nike und Sport
von Krystian Woznicki
Mit der Gründung des [techlabs in Beaverton/Oregon antwortet Nike auf die
veränderte Marktsituation: Die Kids sind mit Computerspielen beschäftigt,
der Verkauf von Sneakers geht weiterhin zurück. >>Vernetzte Sportswear<<,
lautet die neue Devise. Intelligente Uhren, GPS-gestützte
Kompasse, >>workout-friendly<<-MP3 Player. Und das sei nur der
Anfang. >>Body [...] chips carrying data on your performance, heart rate,
biorhythms [...] will nurture a global community of sports freaks. The
future of gaming will be about reliving the experience of sports. In 10
years, our aethletic and digital lives will be one.<< [1]
Wenn Nike einen neuen Markt erschliesst, dann erweitert sich nicht nur die
Produktpalette, sondern es wird auch an unserer Vorstellung von Sport und
Körper gearbeitet. So ist seit geraumer Zeit ein neues Image in Arbeit, das
in aufwendigen Kampagnen den internen Strukturwandel proklamiert. Auch
Architektur steht der Imagepflege zu Diensten. Als im April 1999 die erste
Niketown Europas in einer Charlottenburger Kommerzmeile eröffnet wurde,
riefen ästhetisch suggestive Plakate zum Kampf um die urbane Sphäre
auf. >>Lass Dich nicht von Deiner Stadt ausnutzen. Nutze Deine Stadt aus<<,
lautet einer der meist aggressiven Slogans. Diesem, wie
Kulturwissenschaftler Tom Holert es nennt, Corporate Situationism, dem ganz
selbstverständlich die Privatisierung von öffentlichem Raum zu Grunde
liegt, ist eine für Nikes Cyber-turn relevante Verschiebung eingeschrieben:
Outdoor turns Indoor. Ein vielsagendes Plakatmotiv zeigt den
Breitscheidplatz mit Turnhallenparkett ausgelegt, Baskettballkörbe hängen
in großer Zahl wie deaktivierte Bildschirme an den umgebenden Häuserfassaden.
Während der Fussball-EM 2000 lautet der Appell der NikePark-Kampagne
konsequenterweise Elitenbildung, Schnelligkeit und - auf mentale
Hochleistungen anspielend - >>Übersicht<<. Und die getuneten Vorzeichen des
digitalen Spirits spiegeln sich auch in der NikePark-Architektur. Der
Sport-Themenpark ist als paramilitärisches Ausbildungscamp inszeniert; die
Stationen heißen Interactives. TeilnehmerInnen gelten als Agenten und
treten wiederum gegen robotisierte und virtuelle Cyborg-Figuren an. Und
während die Interactives zumindest noch mit Schießübungsstätten
vergleichbar sind, ist andernorts Bewegung komplett verboten. An einer der
peripheren Stationen etwa, wird bemannter Tischfussball gespielt. Statt der
üblichen athletischen Anforderungen (Beweglichkeit, Ausdauer, Kraft), ist
hier ein Fähigkeitsmix aus Intelligenz und Schnelligkeit erforderlich -
Sport ohne Körper, Kopfsport eben. Vor diesem Hintergrund richten sich
einige Fragen an Tom Holert, der an einer Studie zu Intelligenz-Diskursen
in der Populärkultur arbeitet, und gerade Imagineering (Jahresring 47,
Oktagon Verlag) herausgegeben hat, ein Reader, der Essays und Interviews zu
Visueller Kultur, Politiken der Sichtbarkeit und Transparenz, zur
Herstellbarkeit und Instrumentalisierung von Bildern versammelt.
Krystian Woznicki: Figuren wie Boris Becker, der für AOL Werbung macht,
sollen die Qualität von Cyberglamour vermitteln sowie den Eindruck, dass
eine Annäherung zwischen Sport und IT-Business stattfindet.
Tom Holert: Die Verbindung Boris Becker-AOL scheint mir gerade das
Gegenteil eines Spiels mit >>Cyberglamour-Qualitäten<< zu sein. Die
AOL-Kampagne bemüht sich nach Kräften um Bodenständigkeit. Vom spießigen
AOL-Logo-Design bis zur Inneneinrichtung im Becker-Spot wird peinlich genau
darauf geachtet, das Internet zu normalisieren. Keine irritierenden
Hi-Tech-Gefühle sollen aufkommen, allenfalls die beruhigende Erinnerung an
den Schreibtisch und den guten alten Fernseher. Und Becker agiert dabei
nicht als emeritierter Sportler im Jet-Set-Auftrag, sondern als unbedarfter
Privatmensch. Seine Wirkung gewinnt der Spot gerade aus der Beruhigung der
menschlich-allzumenschlichen Angst vor der Technologie. Groß ist die
Erleichterung darüber, trotz technischer Inkompetenz, den Zugang gefunden
zu haben. Becker mimt die ganze Verblüffung des Anfängers. Und er kann dies
vielleicht deshalb so überzeugend, weil er in zweifacher Hinsicht neu
startet: Der Einstieg in eine Karriere nach der Karriere konvergiert mit
dem Einstieg ins Netz. Becker erfindet sich neu, seine Verwunderung ist
ein >>Mein erstes Mal<<-Erstaunen. Baby Becker. >>Dumbing Down<<. Mit
anderen Worten: in diesem Beispiel nähern sich nicht
Informationstechnologie und Sport einander an, sondern die Kindlichkeit von
Boris Becker, der der Öffentlichkeit Einblicke in einen technokulturellen
Initiationsritus gewährt, und ein globaler Medienkonzern, der an seinem
familienfreundlichen Image arbeitet und dabei mit Pfingsterlebnissen dieser
Art nicht geizen will. Becker ist weiter weg vom Sport denn je und AOL
bemüht sich um Jägerzaun-Anmutung im Netz.
KW: Indes hat Beckers Internet-Karierre begonnen. Die Boris Becker
Marketing GmbH arbeitet mit AOL und Daimler Chrysler zusammen. Nebenbei hat
Becker die Internet-Firma Sportgate mit Pixelpark-Chef Paulus Neef und
Helmut Thoma gegründet. All das in Windeseile, angeblich innerhalb weniger
Monate, was wohlwollende Beobachter dazu veranlasst in Becker einen
risikofreudigen “Schein Heiligen” (MAX) zu sehen. Die Attribute des
Bum-Bum-Boris werden mühelos auf den Start-Up-Boris übertragen.
Existenzgründung und Börsengang mit der Beckerfaust wie einst Serve and
Volley? Andererseits findet jedoch auch ein umgekehrter Transfer statt. Bei
Nike etwa materialisiert sich der Cyber Sport-Komplex in modularen
(Ovidian) und personalisierten (iD) Sneakern, sowie der [techlab Produktreihe.
TH: Ich denke, man muss zwischen der Marketingbotschaft >>virtueller
Sport<< und der Produktebene unterscheiden. Nike hat sich ja vor Jahren mit
dem entscheidenden Bekenntnis >>brands, not products<< zu
einer >>marketing-oriented company<< entwickelt. Das >>Produkt<< wurde zum
bloßen Marketinginstrument. Über Nike als Vorreiter der Branding-Strategie,
die in logischer Zuspitzung des Tauschwertgedankens auf die vollständige
Transzendierung des Gebrauchswerts setzt, ist viel gesagt worden. Verkauft
werden schon lange keine orthopädisch korrekten, aus haltbaren Materialien
hergestellten Sportschuhe mehr, sondern Lifestyle-Optionen und
Sinn-Angebote. Das Wissen um diesen >>marketing turn<< ist, aufbereitet von
Marketingideologen und Leuten wie Norbert Bolz oder Jeremy Rifkin, einer
breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Ein Unternehmen wie Nike
betrachtet sich, wie es der amerikanische Branding-Guru Tom Peters 1997
einmal formulierte, als ein >>pure >player< in brainware<<, als
Sinn-Makler, als Atmosphären-Dienstleister. Weshalb es auch weniger darauf
anzukommen scheint, wie >>virtuell<< oder >>digital<< die von Nike
angebotenen Sport-Tools wirklich sind, als darauf, wie effektiv die Ideen
und Bilder von Virtualität und Digitalität als >>brainware<< verbreitet und
mit - neuronal abgefeuerten? - Kaufimpulsen verknüpft werden. Der von Dir
so genannte >>Cyber Sport-Komplex<< scheint mir dabei eine Facette in den
symbolischen Strategiepaketen von Nike und anderen zu sein, deren
Potenziale man derzeit testet: Zwischen Info-War-Gefechtssimulationen, dem
Modern Primitives-Posthumanismus kalifornischer Cyber-Subkulturen,
PlayStation-Sportrealistik (>>It’s not a game<<), e-commerce-Visionärstum
oder der Mikrofaser-Technologie neuester Wettkampfkleidung werden
symbolische Kontinuitäten konstruiert. Das Reservoir von technokulturellen
Zeichen-Kombinationen erneuert sich dabei permanent; fortwährend wird das
Bild vom Cyborg-Sportler und Techno-Körper moduliert, den jeweiligen
freizeitindustriellen Konjunkturen angepasst, soweit diese Konjunkturen
nicht von einem Unternehmen wie Nike selbst produziert werden. Zu diesen
körperpolitischen Operationen am Zukunftsdesign liefern die Erfolge von
Life Science- bzw. Biotechnologie-Aktien die Begleitmusik, ebenso die
Debatten um die ethische Verträglichkeit von Doping, Cloning oder
Genpatentierung. Solange Nike an der Produktion techno-kultureller,
techno-wissenschaftlicher Metaphern beteiligt ist, geht auch dieses
Branding-Konzept auf.
KW: Zwar sind wir noch weit weg vom Downloaden sportlicher
Spitzenerlebnisse, aber doch nicht ganz so weit entfernt von vernetzten
SportlerInnen, die ihre Trainingsdaten vergleichen und mittels
entsprechender Programme an deren Optimierungen arbeiten. Sport, wie wir
ihn kennen, wird sich (auch) dadurch verändern.
TH: Dass >>der Sport<< durch den Einsatz digitaler Technik und
Internet-Marketing-Ideen wie den >>personalisierten<< Schuh verändert wird,
mag sein. Aber Nike beteiligt sich an der technischen Hochrüstung im
Leistungssport nicht nur wegen der erwarteten sportlichen
Leistungssteigerungen, sondern wegen der symbolischen und (daraus
folgenden) ökonomischen Profite, die eine Verknüpfung von
Hi-Tech-Accessoires mit den Fernsehbildern der Erfolge von Marion Jones
oder Tiger Woods mit sich bringt. Natürlich investiert ein Konzern wie Nike
in die Entwicklung von Gadgets und Gizmos, von Datenspielzeug im
Blob-Design, aber auch von weiterreichenden Techno-Visionen, die zu
Szenarien von Info-Sport und Netz-Athletik führen könnten. Aber
diese >>Forschung<< dürfte immer wieder rückbezogen werden auf die Idee
einer Markenidentität, die sich viral ausbreitet und wie Dawkins’ >>Meme<<
in den KonsumentInnen verankert werden soll. Über ältere Vorstellungen
davon, wie ein >>Image<< konstruiert wird, geht das weit hinaus. Branding
ist selbst eine >>Technologie<<, eine Sozialtechnologie, auch
eine >>Technologie des Selbst<<, von der sich die Technologie, die Du
ansprichst, nicht ablösen lässt.
KW: Wie werden diese >>Technologien des Selbst<< von Nike ausgewertet?
TH: Naomi Klein [2] und andere haben detailliert beschrieben, wie die Marke
zu einem Baustein von Identitäten gerade dadurch werden konnte, dass sich
die Unternehmen die (Über-)Lebensstile der Unterprivilegierten aneigneten.
Die Fetischisierung von afro-amerikanischen Sportlerkörpern und die
vorübergehende Übernahme ganzer Sportarten wie Basketball verschaffte Nike
Zugang etwa zur HipHop-Kultur. Auf der Grundlage von Trend-Recherchen in
den ärmeren Gegenden der US-amerikanischen Großstädte wurden Konsumgüter
entwickelt, die man nicht zuletzt wieder an die Informanten aus
den >>projects<< verkauft - zu so hohen Preisen, dass die Ghetto-Kids auf
der Jagd nach der Gang-War-Uniform von Nike ihre Eltern bestehlen oder sich
gegenseitig umbringen. Diese Radikalisierung der Branding-Technologien ist
eine maßgebliche Zielscheibe der Anti-Nike-Kampagnen. Denn der Kampf
gegen >>the sweat behind the swoosh<< wird auch deshalb so verbissen
geführt, weil die psycho-sozialen Effekte von Branding - sowohl im
Shopping-Mall-Suburbia als auch in den Ghettos der Industrienationen -
nicht nur verheerend sein können, sondern in Beziehung gesetzt werden
müssen zum Lohndumping und zur Ausbeutung in den Nike-Fabriken in Vietnam,
Indonesien, China und anderswo.
Die Versuche von Nike, sich im Internet zu bewegen und Produktlinien zu
entwickeln, die sich in - vermeintlich >>unsportliche<< -
Bildschirmexistenzen einschreiben lassen, zielen nun auch darauf,
Lifestyle-Konzepte zu entwickeln, die nicht mehr angewiesen sind auf
konkretes Trendslumming und >>bro-ing<<. Mit der Hinwendung zum
WWW-Customer spitzt sich der Prozess der Ent-Materialisierung des Sozialen
zu. Vielleicht erwartet man sogar, die trendsetzenden Subkulturen künftig
ganz im Netz erfinden zu können. Dann wäre Nike auf die riskanten
Spurensicherungen an den >>gefährlichen Orten<< alter Hipster-Kultur nicht
mehr angewiesen (und auch vom diesbezüglichen Teil der Kritik seiner Gegner
verschont).
KW: Wenn Sport zur Weiterentwicklung von Technologien mobilisiert wird,
gilt das spielerische Element des Sports als Motor der Entwicklung. So
sollen Fussballspielende Roboter 2047 den amtierenden Fussballweltmeister
schlagen, wie “Deep Blue” nach fünfzigjähriger Reifungszeit Kasparov
bezwingen konnte. Was mich daran besonders amüsiert, ist wie die
Intelligenz dieser Systeme beschrieben wird und auf was für Grenzen, bzw.
Hürden sie stößt. So arbeitet der Schachcomputer nicht mit Unbekannten,
während Fussballroboter nur so im Dunkeln tappen ihrer künstlichen
Intelligenz wird eine kreative Komponente abgefordert.
TH: Damit sprichst Du das zentrale Thema der KI-Forschung an und den
Fragenkomplex, mit dem sich z.B. das >>Things That Think<<-Konsortium am
MIT Media Lab beschäftigt (das auch Nike zu seinen Kunden zählt): die
Diskussion um die vermeintliche Inkommensurabilität
von >>Maschinenintelligenz<< auf der einen und Intentionalität oder
moralische Empfindungen auf der anderen Seite. Über die Wechselwirkung
zwischen (metaphorischen) Vermenschlichungen der Technik und (ebenso
metaphorischen) Technisierungen des Menschen kann viel spekuliert werden,
und diese Spekulationen werden auch gefördert. Mir ist beispielsweise ein
signifikanter Anstieg von Bildern des Gehirns in der Werbung und allgemein
in Medienkontexten aufgefallen. Sie schließen an die Ikonografie des
Maschinen-Menschen an und entwerfen das menschliche Gehirn als Bestandteil
technischer Konfigurationen; auch Appelle an netzwerkförmige
Wissensverwaltung sowohl von Individuen als auch von Kollektiven sind in
wachsendem Maße zu verzeichnen. Die Grenzen des Turing-Tests, der ja die
Unterscheidung zwischen menschlicher und maschinischer Komputation
ermöglichen sollte, werden so in der Symbolik der Wissensgesellschaft
verlassen. Ein Leitmotiv der gegenwärtigen visuellen Kultur ist die
potentielle Künstlichkeit der >>menschlichen<< Intelligenz. Diese Fiktion
einer posthumanen >>Künstlichkeit<< operiert im Subtext der aktuellen
Diskurse über Kompetenz. Im Zusammenhang der Debatte um Arbeitsmigration
und gesteuerte Einwanderung wird deutlich, wie sich die Gehirne und die
Intelligenz der gewünschten Nicht-EU->>Fachkräfte<< gewissermaßen separiert
betrachten lassen. Der an den zerebralen Fähigkeiten hängende -biologische,
soziale, etc.- Körper wird zum ökonomisch lästigen Appendix, den man
ethnifiziert (>>Computer-Inder<<), um ihn so der rassistischen Verarbeitung
in der >>Gesellschaft<< zuzuführen.
KW: Gemeinhin wird angenommen, dass im post-industriellen Zeitalter das
Hirn einen Großteil der Arbeit übernimmt, während der Körper deaktiviert
wird. Lassen sich für Dich Spuren dieser >>Hirnwerdung<< des Menschen auch
im Sport beobachten?
TH: Über die Intelligenz von Sportlern wird immer wieder spekuliert. Ein
Begriff wie >>Spielintelligenz<< regte Christoph Daum dazu an, seine
Leverkusener Profis mit Denksportaufgaben zu konfrontieren. Konzentration
und geistige Beweglichkeit sollen durch immer >>neue Situationen<<
gefördert werden, indem die Spieler >>Lösungsvorschläge<< erarbeiten.
Bekanntlich wird das Spiel >>im Kopf<< entschieden. Die >>mentale Stärke<<
hierfür brauchen alle, von Boris Becker bis Oliver Kahn. Selbst beim Boxen
trifft man auf den Kult des intelligenten Kämpfers. Norman Mailer feierte
die Intelligenz der Profiboxer, heute wird Wladimir Klitschko >>unbändige
Kraft, Entschlossenheit, Begabung und Intelligenz<< (FAZ) zugeschrieben.
Die >>mentale Stärke<< verweist allerdings auf andere Qualitäten als
die >>Intelligenz<<-Vorstellungen, die der Phantasie vom bio- und
informationstechnologisch optimierten Cyborg-Sportler zugrundeliegen. Die
Idee der >>mentalen Stärke<< erhebt charakterliche Vorteile zum
wettkampfentscheidenden Faktor, die im >>Kopf<< gebündelt vorliegen sollen.
Im Bild des >>virtualisierten<< Wettkamps (und des >>virtualisierten<<
Krieges - die SportlerInnen/SoldatInnen-Analogie ist ja einschlägig) sind
die Intelligenzen hingegen auf Wanderschaft gegangen. Das
Gehirn >>verteilt<< sich über den Körper (und weg vom Körper auf die Dinge,
Apparaturen, Waffen). So würden es Marshall McLuhan, Manuel de Landa, Kodwo
Eshun und andere behaupten. Ein solcher Intelligenz-Futurismus setzt
allerdings weniger auf De-Aktivierung als auf >>Befreiung<< des Körpers. So
wollte es schon Marinetti sehen, im Jahr 1911: >>Es gibt keine
erniedrigenden Notlagen mehr. Die Intelligenz herrscht überall. Die
körperliche Arbeit hört endlich auf, Sklavendienst zu sein, weil sie nur
noch drei Ziele hat: Hygiene, Vergnügen und Kampf.<< Der Körper wird
freigesetzt, um neuen alten Aufgaben nachzugehen: der mal hedonistischen,
mal kriegerischen Pflege seiner performativen und repräsentativen
Möglichkeiten.
KW: Kannst Du dafür ein Beispiel geben?
TH: Es existiert ein erstaunliches Foto vom brennenden Belgrad, während
der >>revolutionären<< Tage Anfang Oktober 2000: Im Hintergrund wird gerade
ein Gebäude abgefackelt, im Vordergrund sieht man die Demonstranten, die
zum Teil das Spektakel verfolgen, zum Teil Triumphgesten Richtung Kamera
machen. Das hervorstechende Bildelement jedoch ist ein Riesenplakat von
Nike, auf dem der deutsche Handballstar Stefan Kretzschmar seinen nackten,
tätowierten Oberkörper vorführt und die Arme in die Luft reckt, mit
geschlossenen Augen. Während unterhalb des Plakats die revoltierenden
Körper marodieren, stellt der globalisierte (ost-)deutsche
Sportler-Popstar, der auf MTV eine eigene Sendung hat, seinen Körperschmuck
und seine Konzentrationskünste zur Schau: >>Hygiene, Vergnügen und Kampf<<
- vom überzeichneten Sportlerkörper inkorporiert und als vielschichtiger
Zeichen-Appell an die Menge weitergeleitet.
KW: Die Nike Park-Kampagne gab Stichworte vor, die für gewöhnlich im
Diskurs um digitale Subjekte eine Rolle spielen, zerebral auslegbar sind.
Insbesondere ein Motiv zelebriert Zerebralismus: Oliver Bierhoff ist
mittels einer Doppelbelichtung ein unproportional kleinerer Ball als
Hirnversinnbildlichung bzw. Hirnsurrogat implantiert worden. Das Sujet ist
mehrdeutig und für ein Werbemotiv auf den zweiten Blick extrem
erklärungsbedürftig und fragwürdig.
TH: Das Plakat mit dem Bierhoff-Motiv ist nicht zuletzt eine Übung in
Propagandadesign. Die Pastiche aus Dreißiger/Vierziger-Jahre-Typografie und
-Illustrationsstilen spielt auf sowjetisches Grafikdesign, die Ästhetik der
Pariser Weltausstellung, aber auch die Gestaltung von Aufrufen an die
Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs an, etwa in England -
insofern signalisiert das Plakat auch: Ausnahmezustand! Zu den Waffen!
Lasst euch rekrutieren! Inwieweit hier allerdings ein >>Zerebralismus<<
propagandistisch >>zelebriert<< wird -und nicht viel mehr parodiert-,
darüber ließe sich streiten. Die Ironie der Begriffe >>Elite<<
und >>Übersicht<< wirkt in diesem Zusammenhang allzu direkt. Das
militärisch-faschistische Moment (Bierhoff gehörte in einem Nike-Spot, der
während der Fussball-EM 2000 viel gesendet wurde, zu einer soldatischen
Elitesportlertruppe, die sich in einem ikonischen Beispiel italienischer
Architektur des Faschismus eine Schlacht mit Cyber-Samurais lieferte) wird
gedämpft durch eine prägnante Gaga-Komponente. Macht der Nike-Fußball im
Kopf den Spieler Bierhoff wirklich zur prothesenbewehrten Kampfmaschine?
Das deutet zwar ein breitbeinig dastehendes Cyborg-Männchen an - aber auch
diese Botschaft ist kaum eindeutig zu nennen. Den >>Ball im Kopf<< könnte
man verstehen als Weiterführung der Rede vom Spiel, das >>im Kopf<<
entschieden wird - aber auch die Assoziation >>Tumor<< liegt ja nicht fern.
Die von Nike engagierte Werbeagentur spielt mit der Idee, einfach
die >>hidden persuaders<< der bisherigen Nike-Branding-Strategie zur Schau
zu stellen: Der auf das Ball-Gehirn tätowierte Swoosh, die autoritären
Appelle zur Uniformität und Elitenbildung laden unverblümt dazu ein, das
Nike-Marketing als Brainwashing zu interpretieren.
1. Ray Riley, ehemals bei Apple, jetzt Leiter des [techlabs, in einem
jüngst erschienen Interview zu seiner Vision. Wired June 2000, S. 333
2. No Logo. Taking Aim at the Brand Bullies, Picador, 1999
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